Sechstes Freitags-Sinfoniekonzert
Wenn wir uns den Eindruck des sechsten und letzten Freitag-Sinfoniekonzertes unter der Leitung von Max Lang nochmals im Geiste vergegenwärtigen, so möchten wir uns in erster Linie an das Klavierkonzert von Chopin und die C-Dur-Sinfonie von Schubert halten, denn der Beginn des Konzertes, die Wiedergabe der Suite aus «Der Bürger als Edelmann» von Richard Strauß, war alles andere als vielversprechend. Wenn dies Suite, die Strauß aus seiner Musik zu Molières Lustspiel zusammengestellt hat, nach dem Konzertführer von G. v. Westermann als eines der reizvollsten Werke, die Strauß je geschaffen hat, gelten darf – und wir wollen zugestehen, dass es dieses Lob verdient – so war von diesem Reiz wenig zu spüren. Ueber dem Orchester brütete eine bleierne Langeweile, manchmal schien es gleichsam in Trance zu versinken, aus der es sich nur gelegentlich, vor allem als es dem Ende des Stückes entgegenging, zu einer etwas lebendigeren Darstellung aufraffte. An dem lähmenden Eindruck konnten auch die schönen Solovorträge des Konzertmeisters und des ersten Cellisten wenig ändern.
Glücklicherweise trat mit dem folgenden Aufmarsch des vollen Orchesters auch eine Wendung der Stimmung ein. Das Klavierkonzert in e-Moll von Chopin gehört zu den bevorzugten Paradestücken des Pianisten, denn es gestattet dem Solisten, sein Können auf vielseitigste Weise in helles Licht zu rücken. Es ist virtuos in bestem Sinne, bietet aber auch ausgiebig Gelegenheit, Herz und Gefühl zu zeigen. Es ist ein Jungwerk Chopins, und manche Fäden verbinden es mit dem Konzertstück in f-Moll von C. M. von Weber, aber in seiner Thematik, in der Größe des Schwunges und der Farbigkeit seiner Modulationen ist es echtester Ausdruck des Persönlichkeit des Komponisten. Max Lang packte den ersten Satz energisch an und entfaltete eine Lebendigkeit, die nach dem ersten Programmstück doppelt erfrischend wirkte. Mit besonderem Interesse sah man dem Auftreten von Annette Weisbrod als Solistin entgegen, und die in sie gesetzten Hoffnungen wurden nicht enttäuscht. Ihr Spiel war technisch sauber, von gutem musikalischem Empfinden getragen und nuancenreich. Vielleicht besitzt sie noch nicht jenen Ueberschuss an Technik, aus dem die höchste Freiheit der Virtuosität entspringt, aber die befindet sich auf dem Wege dazu, und das bis jetzt Erreichte darf als eine schöner Erfolg ihres Studiums gewertet werden. Um unseren Eindruck genauer zu präzisieren, möchten wir den ausdruckvollen Vortrag der Romanze und die frische Wiedergabe des Rondos mit seinem keck pointierten Thema und dem perlenden Passagenspiel über den Vortrag des ersten Satzes stellen, der noch einer stärker ausgearbeiteten Plastik zûnd einer freieren Gestaltung bedurft hätte, doch war auch hier die Anlage gut und ausbaufähig, so dass der lebhafte Beifall, den die Pianistin entgegennehmen durfte, wohlverdient war.
Schuberst Sinfonie Nr. 6 in C-Dur, die sogenannte Kleine C-Dur-Sinfonie, ein Werk des 20jährigen, ist weniger häufig im Konzertsaal zu hören als manche der andern, bekannteren Sinfonien, obwohl auch sie voller Charme und Liebreiz ist und auch der tieferen seelischen Empfindungen nicht entbehrt. In mancher Hinsicht weist sie zurück und in mancher vorwärts. Wer will, kann Haydn, Beethoven und seöbst Rossini heraushören, aber ebensogut künden sich schon der Rhythmus und sogar einige thematische Merkmale der postumen Grossen C-Dur-Sinfonie an. Im Grunde ist Schubert immer er selbst, auch wenn er, wie es seine Art war, Anregungen zugänglich war. Er war reich genug, um nicht fremden Einflüssen zu erliegen. So ist auch diese Sinfonie echter Ausdruck seines Wesens und bedarf einer leichten und beschwingten Hand, um zum klanglichen Leben erweckt zu werden. Max Lang zeigte sich hier als ein gewandter Führer des Orchesters, der mit natürlicher Einstellung die liebenswürdigen Linien des Werkes nachzeichnete, ohne das Auf und Ab der Steigerungen aus dem Auge zu lassen. -ss
aus: St. Galler Tagblatt, Dienstag, 20. März 1962, Lokales