Ein davongelaufener Trompeter
war schuld daran, dass ich Trompeter wurde. Die Jazzband, bei der ich Pianist war und die hauptsächlich Dixieland spielte, war aufgeschmissen. Damals (1935) waren Trompeter rar, und so hiess es: «Maxli, du musst Trompete lernen, Klavierspieler gibt es genug!»
Mein erster «Scherben», eine alte Selmer-B-Trompete kostete zwanzig Franken. Vierzehn Tage später spielte ich meinen ersten Ball. Es muss fürchterlich gewesen sein. Ich lernte als Autodidakt mit absolutem Gehör auf der B-Trompete natürlich falsche Griffe. Mit dem ersten Ventil blies ich c-as-es und mit dem zweiten e-cis-a. usw. Da machte mich ein Kollege aus dem grossen Orchester darauf aufmerksam, dass für ein Festspiel 1936 ein vierter Trompeter gesucht werde. Ich meldete mich beim ersten Trompeter des Symphonie-Orchesters zum Vorspielen. Ich dachte mir, da muss schon etwas «Klassisches» her; was lag für mich näher als Wagner, und ich blies mit viel Vibrato und Inbrunst und allen sonstigen Dixieland-Unarten «Siegmunds Winterstürme». – Und siehe da, der «Wonnemond» blieb nicht aus: der Meister nahm mich unter seine Fittiche, gewöhnte mir alle Unarten ab und bildete mich weiter aus. Und nun lernte ich auch die richtigen Griffe und lernte zu begreifen, dass es absolut logisch ist, wenn für ein, in einer alten Es-Trompeten-Stimme gedrucktes fis ein h, oder für ein ges ein ces zu blasen ist, damit für die Ohren ein a aus dem Schalltrichter heraustönt. So wurde ich als Volontär (das gab’s noch) zuerst ohne, dann mit sehr wenig Gage für zwei Jahre ins Orchester engagiert, von 1939 an als fester Zweiter und 1940 als Erster und Solotrompeter.
Der Bestand des Orchesters in jenen Jahren schwankte zwischen 48 und 54 Musikern mit für heutige Verhältnisse sehr kuriosen Verträgen. Da gab’s eine 1. Violine mit Contrafagott, Bratsche mit Bassklarinette, zwei Hörner mit Streicherverpflichtung, ebenfalls mit Nebeninstrument 3. Trompete und 2. Posaune, Contrabass mit Tuba, und im «Othello» spielte der zweite Konzertmeister die 4. Trompete! So präsentierte sich bei grösseren Werken ein «Streicher-Zuzüger»-Orchester auf dem Podium.
Für die Auslastung der 1. Trompete war jedenfalls gesorgt. Ich erinnere mich an einen November mit 42 Konzert- und Theaterdiensten: h-moll Messe und «Fideler Bauer» wechselten ab mit «Boris», «Lohengrin» und «Axel vor der Himmelstür» – neben Symphonie-Konzerten mit anspruchsvollen Werken. Für die hohen Trompetenpartien bei Bach und Händel , die Piccolotrompeten bei Ravel, Honegger etc. bekamen wir pro Dienst ein Extra-Honorar von zwanzig Franken. Nicht zu vergessen ist, dass ich im ganzen Blechregister der einzige war, der feldgrüne Hosen anzuziehen hatte (viele andere trugen sehr braune!). Und wenn ich Urlaub bekam, durfte ich in Uniform sofort zum Orchesterdienst antreten und z.B. in der mir bis dahin unbekannten «Turandot» von Puccini ohne Proben und ohne Training (ich war im Militär nicht bei der Musik) in der Vorstellung die erste Trompete blasen. Die Kollegen waren – eben Kollegen. Aber «de mortuis nil nisi bene». (Nebenbei machte ich 1939 noch das Klavierdiplom).
Meine ganzen zehn Trompeterjahre standen im Zeichen der Zahnärzte. Eine unaufhaltbare Paradontose machte dieser Karriere ein Ende, sodass
ein kaputter Trompeter,
nämlich ich, schuld daran war, dass ich 1946 als musikalischer Leiter und Hauskomponist zum Schauspieltheater kam. Ich hatte 1942 angefangen zu komponieren, zuerst als Autodidakt, später unter Kontrolle. Mein erstes grosses Stück (für Chor und Orchester) erhielt bei einem geheimen Wettbewerb einen ersten Preis. Aber «je preiser ein Werk gekrönt, umso durcher fällt es». Dieser Satz hatte in diesem Fall keine Gültigkeit, weil das Stück überhaupt nicht aufgeführt wurde, da die Komponistenkollegen zwar nur mit zweiten und dritten Preisen, wohl aber mit Chören am längeren Hebelarm sassen. (Auch hier waren Kollegen eben Kollegen).
Ich komponierte weiter, arbeitete mit Arthur Honegger meine Kompositionen durch, worauf A.H. bemerkte, für grosses Orchester könne ich schreiben, ich solle mich jetzt einmal an ein Streichtrio wagen. Auf meine Gegenfrage, warum es so wenig Honegger’sche Streichtrios gebe, kam von ihm, liebenswürdig und leicht stotternd, wie es so seine Art war, die Antwort: «Ich schreibe auch viel lieber ein Oratorium als ein Streichtrio».
Der Komponist
war schuld, dass ich 1943 zum erstenmal dirigierte – auch als Autodidakt (alles wiederholt sich) – nämlich mein erstes Ballett, dem bald weitere eigene Werke für Orchester folgten. Jetzt kamen auch Dirigentenkurse dazu. Ich komponierte von 1946 bis 51 gegen 40 Schauspielmusiken für grössere und vor allem für kleinere Besetzungen und von unterschiedlichster Dauer.
Ich hatte damals das Glück, mit den grössten Regisseuren und Schauspielern zu arbeiten und lernte das Theater à fond kennen und lieben. In diese Zeit fiel mein Kapellmeisterdiplom, und ich dirigierte erstmals ausser den eigenen auch andere Werke («Egmont», «Sommernachtstraum», «Peer Gynt» u.a.).
Als ich mich endlich 1951 im Ausland auf eigene Füsse stellen wollte, war ich als Dirigent und Komponist zu alt! Des Öfteren musste ich die Frage hören: «Warum kommen Sie erst jetzt?» Nun, im wichtigen Alter von 20 – 30 Jahren, in dem eine Karriere aufgebaut werden sollte, hatte ich wunderbar Schiessen und Kartenspielen gelernt! So musste ich froh sein, mich im Laufe langer Jahre (Verdi hätte es «Galeerenjahre» genannt) vom zweiten Kapellmeister zum Opern- zum Konzertdirigenten hinauf zu pinseln.
Der Dirigent
nun war schuld, dass der Komponist Lang zu kurz kam. In einem kleinen Theater gab es damals für einen Kapellmeister – im Gegensatz zum Orchestermusiker – keine Beschäftigungszeitgrenze. Erst später begann es auch in diesem Sektor zu «dämmern». Jedenfalls kam die Zeit, in der ich mich nun doch noch daran wagte, auch Kammermusik zu komponieren.
Die zehn Jahre Orchesterdienst des Trompeters sind für den Komponisten und für den Dirigenten durch die praktische Erfahrung von unschätzbarem Wert, und durch graue Theorie nicht zu ersetzen.
Wer und Was
schuld daran war, dass der Dirigent, Komponist und Ex-Trompeter auch noch einige Jahre als Fluglehrer amtierte, dies gehört in ein andres Kapitel, das hier zu verschweigen des Sängers Höflichkeit gebietet.
Max Lang, im März 1979